PM Hessischer Flüchtlingsrat
Hessen schiebt erstmals in das Bürgerkriegsland ab
Abschiebung erfolgte, kurz bevor Omar F. Anspruch auf sicheren Aufenthalt erlangt hätte
Erstmals ist in der vergangenen Woche ein Somalier aus Hessen nach Mogadischu abgeschoben worden. Omar F. wurde am Montag vergangener Woche völlig überraschend auf der Ausländerbehörde verhaftet, als er seine Duldung verlängern wollte, und im Abschiebeknast in Darmstadt inhaftiert. Am Mittwoch wurde er dann per Linienflug über Doha nach Mogadischu abgeschoben.
„Wir sind entsetzt, dass das Land Hessen jetzt offensichtlich alle Hemmungen fallen lässt und als erstes Bundesland Abschiebungen nach Somalia als ‚normal‘ anzusehen scheint“, empört sich Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des Hessischen Flüchtlingsrates, über die Landesregierung. „Es gab seit Jahrzehnten aus gutem Grund keine Abschiebungen nach Somalia, und jetzt, mitten in der Corona-Pandemie, scheut man keine Mühen, um gut integrierte Menschen in ein Bürgerkriegsland zu verfrachten. Wir erwarten von der schwarz-grünen Landesregierung eine Erklärung, wie es dazu kommen konnte, und dass sofort ein Abschiebestopp für Somalia erlassen wird.“
Somalia belegt vor dem Jemen den vorletzten Platz auf dem Fragile States Index (vorher: Failed States Index) und liegt auch auf dem Global Peace Index auf einem der letzten Plätze. Vor zwei Wochen hätten eigentlich Wahlen stattfinden sollen, die aber kurzfristig und ersatzlos gestrichen wurden, so dass sich die instabile politische Situation noch weiter verschlechtert hat und weiter abzurutschen droht. Zudem ist Somalia auch von Corona und der seit letztem Jahr grassierenden Heuschreckenplage besonders hart getroffen. Erst gestern warnte Care Deutschland in einer Presseerklärung, dass ein Fünftel der Bevölkerung von akuter Hungersnot bedroht sei.
Omar F. – bestens integriert
Omar F. arbeitete seit drei Jahren in Vollzeit als Maschinenführer bei einem Recyclingbetrieb, war sehr geschätzt bei Vorgesetzten und Kollegen. Manuel Götz, der Chef des Abgeschobenen, schildert die Stimmung in der Firma: „Wir sind hier im Betrieb alle völlig schockiert. Wir setzen alles daran, dass Omar wieder nach Deutschland kommen kann, würden sogar das Ticket bezahlen“. Auch in der Nachbarschaft war er beliebt, half seiner Vermieterin im Garten. Er hatte sich erfolgreich eine neue Existenz aufgebaut, lebte in einer eigenen Wohnung, hatte den Führerschein gemacht und ein Auto gekauft, war ein Musterbeispiel für gelungene Integration. Das alles wurde jetzt durch die Abschiebung zunichtegemacht.
Abgeschoben, kurz bevor er die Aufenthaltserlaubnis bekommen hätte
Omar F. kam im November 2013 nach Deutschland und stellte einen Asylantrag, der im Jahr 2017 abgelehnt wurde. Die Klage dagegen wurde im März 2020 abgewiesen.
„In wenigen Wochen hätte er Anspruch auf eine Beschäftigungsduldung gehabt, die ihn vor Abschiebung geschützt hätte – anscheinend wollte man hier seitens der Behörden in letzter Minute noch Fakten schaffen“, vermutete Scherenberg. „Es ist doch völlig absurd, jemanden, der fast acht Jahre in Deutschland lebt, hervorragend integriert ist und seit Jahren in Vollzeit arbeitet, abzuschieben, kurz bevor er von den Regelungen profitieren kann, die extra für Menschen wie ihn gemacht wurden.“
Hintergrund: Seit Anfang 2020 gibt es im Aufenthaltsgesetz die Beschäftigungsduldung (§ 60d), die Geduldete, die gut integriert sind, vor Abschiebung schützt. Voraussetzung dafür ist, dass man seit 18 Monaten in Vollzeit arbeitet und seit mindestens 12 Monaten geduldet ist. Dadurch, dass sich sein Asylverfahren so lange hingezogen hat, hatte Omar F. erst seit 10 Monaten die Duldung, davor hatte er noch eine Aufenthaltsgestattung, die aber für die Berechnung der Zeiten nicht mitzählt. Flüchtlingsorganisationen haben schon bei Inkrafttreten der Regelung kritisiert, dass die Hürden für die Beschäftigungsduldung unangemessen hoch sind.
Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b des Aufenthaltsgesetzes kann man nach 8 Jahren in Deutschland bekommen, wenn man den Lebensunterhalt überwiegend sichern kann. Auch diese 8 Jahre hätte er in wenigen Monaten erreicht, und im Ermessen der Ausländerbehörde hätte er die Aufenthaltserlaubnis auch jetzt schon bekommen können. In einigen anderen Bundesländern wie Rheinland-Pfalz oder NRW ist sogar per Erlass geregelt, dass bei besonderer Integration die Frist von 8 Jahren um bis zu zwei Jahre verkürzt werden kann.
Im Koalitionsvertrag der aktuellen Landesregierung heißt es dazu: „Gleichzeitig ist es wenig sinnvoll, Menschen wegzuschicken, deren Arbeitskraft oder Expertise dringend gebraucht wird, die etwas leisten und für sich selbst sorgen können. Deshalb setzen wir uns für eine entsprechende Altfallregelung ein“ (S. 125). Leider bleibt die Umsetzung dieser Absicht, wie sich am Beispiel Omar F. zeigt, deutlich hinter der anderer Bundesländer zurück.
Ein Vorschlag noch zum Schluss: Vielleicht sollten sich die Mitarbeiter:innen der Zentralen Ausländerbehörden, die ja offenkundig ein großes Organisationstalent besitzen, während der Pandemie statt um Abschiebungen von gut integrierten Menschen in den letzten Winkel der Erde lieber um die Organisation von Impfterminen für die hessische Bevölkerung kümmern – damit wäre allen geholfen.