Auf Behörde verhaftet: Omar F.s Abschiebung löst bei Geflüchteten Angst aus

Kundgebung

Mit einer Demo will das Bündnis Community for All am Freitag, 12. März, ab 17 Uhr seinen Forderungen Nachdruck verleihen. Die Kundgebung findet vor dem Regierungspräsidium am Luisenplatz in
Darmstadt statt. cka

Frankfurter Rundsch am 12. März dazu:

Nach Omar F.s Abschiebung ins Bürgerkriegsland Somalia fordern Hilfsorganisationen die Rückholung des 28-Jährigen. Sein Fall markiert eine neue Gangart in Hessens Abschiebepraxis. Pro Asyl fordert Aufklärung durch Innenminister Peter Beuth.

Unter somalischen Flüchtlingen in Hessen geht die Angst um. Junge Männer trauen sich nicht mehr zum Schlafen in ihre Unterkünfte, weil sie Angst haben, geholt zu werden. Andere wagen sich nicht mehr auf die Ausländerbehörde. „Es ist schlimm und gefährlich, aus Angst lassen sie ihre Papiere nicht verlängern, und das ist ein Vergehen“, sagt Halima Gutale, Integrationsbeauftragte des südhessischen Pfungstadt und Vorsitzende des Vereins Halima aktiv für Afrika. Die Menschen seien verunsichert, hätten schlaflose Nächte und sähen keinen Sinn mehr in ihren Bemühungen, sich hier zu integrieren.

Dass in der somalischen Gemeinschaft nach der überraschenden Abschiebung eines jungen, gut integrierten Mannes ins Bürgerkriegsland Somalia großer Aufruhr herrscht, bestätigt Kamal Jama Mussa. Der Vorsitzende des Darmstädter Vereins Somali Community Service hat nach eigenen Angaben allein 50 Anrufe von verunsicherten Landsleuten, viele davon mit Kindern, bekommen, nachdem er über Omar F.s Abschiebung auf Facebook geschrieben hatte.

Bei Routinetermin überraschend verhaftet

Omar F. war Mitte Februar auf der Ausländerbehörde in Bad Homburg festgenommen worden. Völlig überraschend, denn der 28-Jährige war einbestellt, um seine Duldung verlängern zu lassen, berichtet Mussa der Frankfurter Rundschau. Dass er dann verhaftet und ins Abschiebegefängnis nach Darmstadt gebracht wurde, um zwei Tage später, am 17. Februar, ohne jeden juristischen Beistand nach Mogadischu ausgeflogen zu werden, sei für seine Bekannten, seine Vermieter und seinen Arbeitgeber „ein Schock“ gewesen, sagt Mussa.

Omar F. war vor fast acht Jahren nach Deutschland gekommen, hatte seit drei Jahren eine feste Arbeit als Maschinenführer in einer Recyclingfirma und lebte eigenständig in einer Mietwohnung in Darmstadt. Sein Asylgesuch war zwar abgelehnt worden, aber er war trotzdem motiviert, sich zu integrieren.

Verbände kritisieren Abschiebung

Flüchtlingsverbände und Menschenrechtsorganisationen kritisieren seine Abschiebung als skandalös. „Es hätte nur noch wenige Wochen gedauert, bis er einen sicheren Aufenthaltsstatuts erhalten hätte – genau diese Wochen hat das Regierungspräsidium Darmstadt genutzt, um ihn festnehmen zu lassen“, schreibt das Bündnis Community for All.

„Wir sind entsetzt, dass das Land Hessen jetzt offensichtlich alle Hemmungen fallenlässt und als erstes Bundesland Abschiebungen nach Somalia als ‚normal‘ anzusehen scheint“, empört sich Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des hessischen Flüchtlingsrats.

Kundgebung

Mit einer Demo will das Bündnis Community for All am Freitag, 12. März, ab 17 Uhr seinen Forderungen Nachdruck verleihen. Die Kundgebung findet vor dem Regierungspräsidium am Luisenplatz in
Darmstadt statt. cka

 

Für „völlig inakzeptabel und moralisch unanständig“ hält es Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, Menschen „einfach so in ein Krisengebiet abzuschieben“. Der FR sagte er, Omar F.s Abschiebung sei ein Tabubruch. Er kritisiere nicht nur, dass abgeschoben wird, sondern auch die „überfallartige“ Form, in der Abschiebungen erfolgten: „Unsere Beobachtung ist, dass die Abschiebungen immer brutaler werden.“ Man dürfe nicht zulassen, dass Tausende Menschen in Angst und Schrecken versetzt würden. Burkhardt fordert die schwarz-grüne Landesregierung auf, Verantwortung dafür zu übernehmen. Es könne nicht sein, dass in ein Land abgeschoben werde, in dem Terror, Hungersnöte und Naturkatastrophen herrschten, das auf dem zweiten Platz der weltweit fragilsten Staaten stehe, und man die Entscheidung darüber den lokalen Ausländerbehörden überlasse.

Pro Asyl fordert Abschiebestopp

„Für welche Politik steht Schwarz-Grün eigentlich?“, fragt Burkhardt. Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) müsse die Verantwortung übernehmen und aufklären, was er davon wusste und wann er zugestimmt habe, Menschen in Lebensgefahr zu bringen, indem sie nach Somalia abgeschoben werden. Burkhardt fordert zudem, dass das Thema auf die Konferenz der Innenminister im Juni gebracht und ein bundesweiter Abschiebestopp nach Somalia erwirkt wird. Hessen selbst könne bereits einen dreimonatigen Abschiebestopp verhängen. Außerdem solle Omar F. zurückgeholt werden. Das fordert auch der Arbeitskreis Flucht, Asyl und Integration Pfungstadt in einem offenen Brief an die Landesregierung.

601 Somalier und Somalierinnen derzeit ausreisepflichtig

Abschiebungen nach Somalia gab es in den vergangenen Jahren kaum. Vor 2018 waren sie sogar faktisch ausgesetzt – nicht zuletzt, weil Pässe aus Somalia nicht anerkannt werden, wie Pro Asyl mitteilt. 2019 habe man begonnen, alle Menschen aus dem ostafrikanischen Staat zu registrieren, berichtet Integrationsbeauftragte Gutale. Seither habe sie befürchtet, dass es zu Abschiebungen kommen werde. Omar F.s Fall bestätige diese Befürchtungen. Gutale hält seine Abschiebung für einen Test, „um zu sehen, wie die Menschen reagieren“.

Nach Angaben des Innenministeriums wurden von 2018 bis 2020 nur vier Somalier in ihr Heimatland abgeschoben. Derzeit seien 601 somalische Staatsangehörige ausreisepflichtig, teilte Ministeriumssprecher Marcus Gerngroß auf Anfrage mit. Von diesen „können einige nicht nach Somalia abgeschoben werden, sondern müssen im Rahmen der Dublin-III-Verordnung oder im Drittstaatenverfahren in andere Staaten überstellt werden“.

Innenministerium: Hessische Behörden haben keinen Einfluss

Auf die Frage, warum Hessen plötzlich wieder nach Somalia abschiebe, verweist das Innenministerium auf den Bund: „Die Beurteilung, ob der Abschiebung in bestimmte Herkunftsländer sogenannte zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse entgegenstehen, obliegt dem für das Asylverfahren zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sowie den Verwaltungsgerichten.“ Weder auf Entscheidungen des Bamf noch der Verwaltungsgerichte könnten die hessischen Behörden Einfluss nehmen, betont Gerngroß. Sie seien jedoch gesetzlich verpflichtet, die Abschiebung von ausreisepflichtigen Personen zu vollziehen, sofern kein Duldungsgrund vorliege, der einer Abschiebung entgegensteht.

Die gelungene Integration eines Menschen gilt offenbar nicht als Duldungsgrund. Dies widerspricht allerdings dem schwarz-grünen Koalitionsvertrag, in dem festgehalten ist, dass es nicht sinnvoll ist, „Menschen wegzuschicken, deren Arbeitskraft oder Expertise dringend gebraucht wird, die etwas leisten und für sich selbst sorgen können“.

Die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Eva Goldbach, teilte dazu der FR mit: „Die Abschiebehaft wurde von einem Gericht angeordnet. Gerichtsentscheidungen kommentieren wir nicht, gehen aber davon aus, dass die Anordnung rechtmäßig erfolgt ist.“ Man setze sich zudem auf Bundesebene für die Schaffung eines Einwanderungsgesetzes ein.

Nach Halima Gutales Auffassung sind rassistische, diskriminierende Gesetze das Problem: Somalische Flüchtlinge seien die einzigen, deren Papiere nicht anerkannt würden, außer für ihre Abschiebung. Für sie gebe es keine Hilfsstrukturen und keine Perspektive. „Es ist gar nicht gewollt, dass wir uns integrieren.“